Vietnam Ho-Chi-Minh-Stadt: Skyline und Containerschiff auf dem Fluss Saigon

Vietnam im Überblick: Aufstiegsmarkt in Südostasien

Teil 1: Wirtschaftliche Entwicklung, Marktstruktur und Chancen für den Einstieg

Einkaufsverantwortliche sind vermehrt auf der Suche nach neuen Beschaffungsmärkten, um ihr Lieferantenportfolio breiter aufzustellen oder die Produktion gänzlich zu verlagern. Bei ihren Diversifizierungsbestrebungen sollten Unternehmen auch Vietnam als zukünftigen Markt in Betracht ziehen – das ostasiatische Land bietet europäischen Partnern zahlreiche Vorteile, gerade durch das seit 2021 gültige Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. Wir stellen Vietnam als Beschaffungsmarkt vor und zeigen die Chancen dieser aufstrebenden Volkswirtschaft.

  1. Vietnam: Daten und Fakten
  2. Wirtschaftliche Entwicklung
  3. Produktionszweige
  4. Wirtschaftsregionen
  5. Freihandel/Zölle
  6. Investitionsklima und Markteinstieg

1. Vietnam, Daten und Fakten

Einwohner 2022: 98,2 Millionen

Demografie: 32 Jahre (Median), 68,6 Prozent 15 bis 64 J

Bruttoinlandsprodukt 2021: 366 Millionen US Dollar (+261 %/ 2020)

BIP pro Einwohner*in 2021: 3.725 US-Dollar

Wirtschaftswachstum 2022: ca. 7 Prozent

Direktinvestition (FDI) 2022: 25 Milliarden US Dollar

Handelsvolumen 2022: 750 Milliarden US Dollar

Exportüberschuss 2022: 1 Milliarde US Dollar

Rohstoffe, z.B.: Seltene Erden, Bauxit, Mangan, Phosphat

Hauptwarengruppen: Elektrotechnik, Maschinen/ mechanische Erzeugnisse, Textilien/ Bekleidung/ Schuhe

2. Wirtschaftliche Entwicklung

Mit einem Wirtschaftswachstum von rund 7 Prozent, einem Handelsvolumen von 750 und einem Exportüberschuss von 11 Milliarden US-Dollar zählte Vietnam im Jahr 2022 zu einem der aufstrebenden globalen und vielversprechendsten asiatischen Wirtschaftsmärkte. Zahlreiche Unternehmen haben das Potenzial erkannt und sehen Vietnam vor allem als Alternative oder Ergänzung zu chinesischen Partnerschaften: Laut einer Befragung der Europäischen Wirtschaftskammer in Vietnam unter 200 Verantwortlichen hatten 41 Prozent der Unternehmen im letzten Quartal 2022 einen Teil ihrer Geschäftstätigkeit nach Vietnam verlagert, gegenüber 13 Prozent im Quartal zuvor.

Gezielte Programme und Entwicklungspläne

Die Entwicklung folgt seit vielen Jahren einer klaren Zielsetzung: Mit nationalen Programmen, Verwaltungsreformen sowie Handelserleichterungen und -förderungen strebt die Regierung des ostasiatischen Landes nach verbesserten Exportbedingungen, Wachstum und attraktiven Ausgangsbedingungen für ausländische Investoren. So wurde auch die Stabilisierung der Ökonomie nach der Corona-Pandemie durch ein Programm zur sozioökonomischen Erholung und Entwicklung gezielt gesteuert. Darüber hinaus fördert die vietnamesische Regierung die weltwirtschaftliche Integration. Dazu zählt das internationale Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam (EVFTA), die Transpazifische Partnerschaft (CPTPP) oder die regionale Wirtschaftspartnerschaft (RCEP).

Steigender Wohlstand

Der Erfolg zeigt sich auch in einem deutlich wachsenden Wohlstand der Bevölkerung: Lebten in den 1990er Jahren noch die Hälfte der Einwohner*innen unter der Armutsgrenze, sind es derzeit noch rund 7 Prozent. Im urbanen Raum wächst die Mittelschicht stark und gewinnt dank höherer Beschäftigungszahlen und des moderat ansteigenden Lohnniveaus an Kaufkraft.

Positive Prognose

Dem Bericht des europäischen Unternehmensverbands in Vietnam zufolge bewerteten 2022 knapp die Hälfte der europäischen Unternehmen (45 Prozent) die Geschäftsperspektive in Vietnam als positiv. 42 Prozent haben vor, ihre Investitionen in Vietnam ausweiten.  Angesichts der ambitionierten Zielsetzungen der Regierung, vorangetrieben durch massive Wirtschaftsförderung und wachsenden Wohlstand der Bevölkerung, prognostizieren Experten dem Land innerhalb weniger Jahrzehnte eine Einreihung unter die größten Verbrauchermärkte der Welt. Zudem bietet das Land europäischen Unternehmen, die vor Ort produzieren und Waren einkaufen wollen, verschiedene Standortvorteile.

3. Produktionszweige

Vietnam hat sich auf dem Weltmarkt als einer der bedeutendsten Fertigungsstandorte von Exportprodukten aus den Segmenten Elektronik, Textil- und Lederwaren sowie Möbeln etabliert. Dank einer Vielzahl agrarischer Rohstoffe wie Reis, Kaffee, Zuckerrohr oder Mais ist das Land zudem ein wichtiger Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse.

Das industrielle Wachstum ist eines der vorrangigen Wirtschaftsziele Vietnams. So wurde der ökonomische Aufschwung der vergangenen Dekade vor allem durch die rasante Entwicklung der verarbeitenden Industrie angetrieben, allen voran der Elektroindustrie als bedeutendstem Produktionszweig. Dazu trägt bei, dass die Löhne trotz des insgesamt steigenden Niveaus im globalen Vergleich noch immer recht niedrig angesiedelt sind.

4. Wirtschaftsregionen und -cluster

In Vietnam haben sich drei starke Wirtschaftscluster etabliert, die auf unterschiedliche Fertigungszweige spezialisiert sind. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für Investitionen und Ansiedlungen unterscheiden sich je nach Region noch stark.

Region Ho Chi Minh City (HCMC)/ Mekong-Delta

Die größte Wirtschaftsregion ist die Metropole Ho Chi Minh City (HCMC) samt den umliegenden Provinzen und des Mekong-Deltas, das als „Kornkammer“ des Landes und Hauptregion für die Fischereiwirtschaft eine wichtige Rolle bei der Nahrungsmittelproduktion spielt. Diese Region generiert Schätzungen zufolge rund ein Drittel des vietnamesischen BIP.

Der Norden

Der Norden zwischen der Hauptstadt Hanoi und der Hafenstadt Haiphong holt stetig auf. Elektronikgiganten – insbesondere aus Taiwan und den USA – haben sich im Umkreis von Hanoi angesiedelt. Die Regierung plant, den Norden zum Automobil- und Zuliefercluster zu entwickeln.

Der Süden

In den südlichen Industriezonen produzieren vielfach ausländisch investierte Unternehmen Bekleidung, Schuhe, Möbel und Elektronik für den Export.

Wettbewerb der Regionen

Zwischen den einzelnen Provinzen herrscht ein ausgeprägter Konkurrenzkampf, der auch staatlich befördert wird. So prüft und vergleicht der “Provincial Competitiveness Index” in regelmäßigen Abständen die Wettbewerbsfähigkeit der insgesamt 63 Provinzen des Landes.

5. Freihandel/Zölle

Verschiedene Freihandelsabkommen machen Vietnam zu einem attraktiven Produktionsstandort für ausländische Unternehmen und bieten optimale Bedingungen für Organisationen, die nach einer Diversifizierung ihrer Lieferketten im asiatischen Raum streben und weitere Standorte in der Region erschließen möchten. So ist Vietnam in die Transpazifische Partnerschaft (CPTPP) und die Regionale Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) eingebunden.  

Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam (EVFTA)

Innerhalb der „Association of Southeast Asian Nations“ (ASEAN) stellt Vietnam die zweitgrößte Exportdestination der EU dar, die wiederum den viertgrößten Handelspartner Vietnams bildet. Um den Handel zu erleichtern, Bedingungen zu definieren sowie  beidseitig höhere Absicherung bei Investitionsvorhaben zu gewähren, trat am 1. August 2020 ein weitreichendes Freihandelsabkommen in Kraft.

Im Laufe der kommenden zehn Jahre werden mehr als 99 Prozent der Zölle für beidseitig gehandelte Waren entfallen: Bereits am Tag des Inkrafttretens hob Vietnam 65 Prozent seiner Zölle auf EU-Waren auf. Die

verbleibenden werden bis 2030 schrittweise abgebaut. Für Waren aus Vietnam in die EU entfielen 71 Prozent der Zölle sofort, bei den verbleibenden ist dies schrittweise bis 2027 vorgesehen. Der asymmetrische Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass Vietnam von der EU nach wie vor als Entwicklungsland eingestuft wird.

Mit dem Handelsabkommen gehen die Vertragspartner Verpflichtungen zur Absicherung eines hohen Schutzniveaus für Arbeits- und Umweltstandards sowie zum Konsumentenschutz ein. Das Abkommen bedeutet auch eine höhere Sicherheit für Investitionsvorhaben auf europäischer wie auch vietnamesischer Seite.

6. Investitionsklima und Markteinstieg

Als Investitionsmarkt entwickelt sich Vietnam zunehmend positiv. Auch hier setzt die Regierung auf bewusste Verbesserung der Rahmenbedingungen, um das Umfeld für internationale Investor*innen und privatwirtschaftliches Engagement attraktiv zu gestalten. Die Anziehung ausländischer Direktinvestition mit einem FDI-Kapital von mehr als 25 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 ist als wichtiger Meilenstein der vietnamesischen Wirtschaftsentwicklung zu sehen.

Dank der gezielten Entwicklungsfortschritte bietet Vietnam demnach vielfältige Chancen für den Markteinstieg. Bei der Erschließung neuer Märkte und der Verlagerung von Produktionsstandorten begegnen unternehmen jedoch auch zahlreichen Herausforderungen, zum Beispiel bezüglich Infrastruktur und logistischer Erschließung. Zudem gewinnen ESG-Kriterien, wie sie unter anderem das Lieferkettengesetz vorgibt, bei der Bewertung von Chancen und Risiken immer mehr an Gewicht.

Im zweiten Teil unseres Überblicks zum Aufsteigermarkt Vietnam werden wir strukturelle Bedingungen, spezifische Herausforderungen und den Stand bei der Umsetzung des Sorgfaltspflichtengesetzes näher beleuchten, angereichert durch wertvolle Experten-Tipps des mit dem vietnamesischen Markt bestens vertrauten Hermes-Logistikpartners SEKO.

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