Die Intensität, mit der die Corona-Pandemie Unternehmen weltweit erfasst hat, ist immens. Doch auch wenn die Produktion und die internationalen Lieferketten bereits wieder angefahren wurden, die langfristigen Auswirkungen sind aktuell noch nicht absehbar. Wir sprachen mit Stephan Schiller, Geschäftsführer Hermes Europe und CEO Hermes International, einem Geschäftsbereich von Hermes Germany, von den ersten Reaktionen bis hin zu langfristigen Learnings aus der Pandemie.
Herr Schiller, wann haben Sie erkannt, dass das Virus zu enormen Auswirkungen auf die globalen Lieferketten führen wird?
Ich habe bei einem China-Aufenthalt Ende Januar einen Eindruck davon bekommen, was eventuell auf uns zukommt. Der frühe Lockdown in China war ein klares Indiz, dass die internationale Logistik stark betroffen sein wird. Mit dem Herunterfahren der Produktion in China blieben als erstes Paketmengen aus und im Anschluss brach die Luftfracht in sich zusammen, die Seefracht folgte etwas verzögert. Das Paketgeschäft aus China hat sich schnell erholt. Im Kontext der Supply Chain Solutions erreichen wir aktuell jedoch noch nicht wieder unsere Pläne.
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Wie haben Sie darauf reagiert? Wie konnten Sie Ihre Kunden in dieser besonderen Situation unterstützen?
Schon vor der Krise haben wir begonnen, uns mit dem Thema Supply Chain Risk Management (SCRM) zu beschäftigen und sind jetzt noch aktiver dabei, ein Format zu entwickeln, welches unseren Kunden transparent macht, welchen Risiken die jeweiligen Lieferketten ausgesetzt sind. In der Corona-Situation haben wir versucht mit den Kunden festzulegen, wie die Prioritäten-Lage ist. Welche Ware muss unbedingt transportiert werden, um zum Beispiel die Warenverfügbarkeit sicherzustellen. Bis heute sind wir im engen Austausch zu den vorhandenen Kapazitäten und versuchen so die Kunden zu unterstützen, wenn zum Beispiel Produktionsmärkte gewechselt werden müssen, da wichtigen Produktionsländer wie Indien oder Bangladesch bis heute nicht voll zur Verfügung stehen.
Die tatsächlichen Auswirkungen sind selbstredend noch nicht absehbar, jedoch sprechen zahlreiche Experten bereits von der Rückbesinnung auf eine ausgedehnte Lagerhaltung und der Lokalisierung der Beschaffung. Hat Just-in-Time ausgedient und ist das Zeitalter der Globalisierung vorüber? Welche Szenarien halten Sie für realistisch?
Das glaube ich nicht, zumindest für die Masse von Warengruppen. Eine globale Rezession und somit der wirtschaftliche Druck wird die meisten, international aufgestellten, Unternehmen ‚zwingen‘, weiterhin günstige Produktionsstandorte zu nutzen. Sicher werden Abhängigkeiten aus Just-in-Time oder Just-in-Sequence Konzepten bei hoch komplexen Produktionen etwas abgefedert, wie zum Beispiel Abhängigkeiten von wenigen Märkten oder Lieferanten zu lösen, aber Kosten werden ein treibendes Thema bleiben. Ich hoffe, dass sich trotzdem Szenerien ergeben, bei denen der Nachhaltigkeitsaspekt, in der Preisbereitschaft als auch im Klima- und Umweltschutz, eine Rolle spielen.
Sie sprachen bereits das Supply Chain Risikomanagement an, welche Relevanz wird das SCRM künftig einnehmen?
Resilienz wird der prägende Begriff in Unternehmens-Strategien sein und natürlich spielt die Logistik hier eine wichtige Rolle. Schon heute sehen wir uns als Lösungsanbieter und nicht nur ‚Auftrags-Ausführer‘.
Wir möchten einen Beitrag leisten, damit unsere Kunden erfolgreicher sind und dazu gehören zunehmend Beratungsleistungen rund um die gesamte Supply Chain. Die Corona-Krise ist eine maximale Disruption, zeigt aber brutal Abhängigkeiten und Schwächen auf. Wir möchten unterstützen, Risiken so weit wie möglich zu vermeiden. Daher sind wir dabei, dafür ein Format zu entwickeln. Wir starten mit einigen Bestandskunden, denn diese maximale Transparenz in Unternehmensstrategien und Kostenstrukturen setzt ein hohes Maß an Vertrauen voraus. Dimensionen dieser Dienstleistung sind unter anderem die Bewertung von betriebswirtschaftlichen Risiken, Wetter und geographischen Gegebenheiten im Kontext der Logistik-Strukturen unserer Kunden.
Das 12. Hermes-Barometer zu Nachhaltigkeit im Supply Chain Management hat konstatiert, dass nachhaltiges Wirtschaften zunehmend an Relevanz gewinnt, ein umfassender Wandel jedoch noch aussteht. Ist die aktuelle Situation eher Chance oder Hindernis für Unternehmen, die eigene Supply Chain nachhaltiger zu gestalten?
Ich meine eine Chance. Schon vor der Corona-Krise wussten wir, dass wir besser auf unseren Planeten aufpassen müssen. Was nicht auf Freiwilligkeit basiert, wird in naher Zukunft durch offizielle Regeln und Gesetze definiert werden müssen. Dann sollten Unternehmen vorbereitet sein. Die Umstellung auf neue Treibstoffe in der Schifffahrt oder die anhaltende Diskussion über Alternativen zu Dieselfahrzeugen sind da nur der Anfang. Unternehmen, welche Ihre Lieferketten jetzt neu ausrichten, sollten das unbedingt beachten.
Die Pandemie hat die gesamte Weltwirtschaft in Aufruhr versetzt. Konnten Sie von Hermes International auch Chancen identifizieren? Was bedeutet das New Normal für die Logistik und globale Lieferketten?
Das New Normal kennen wir noch nicht vollumfänglich. Grundsätzlich hat sich Logistik als ein entscheidender Baustein für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen und privaten Lebens bewiesen. Ich hoffe, das ändert etwas am Stellenwert unserer Industrie. Auf der anderen Seite ist Logistik eine abgeleitete Nachfrage und es geht uns gut, wenn es unseren Kunden gut geht. Insgesamt möchte ich das als Chance verstehen, sonst wären wir keine Logistiker.
Herr Schiller, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das gesamte 12. Hermes-Barometer „Nachhaltigkeit im Supply Chain Management“ können Sie kostenfrei hier herunterladen.